Rund ein Jahrzehnt ist es mittlerweile her, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die mein Leben nachhaltig verändern sollte: Ich stieg als Sexdienstleister in die kommerzielle BDSM-Szene ein.

Ich war damals Mitte 30 und mein Arbeitsalltag als Produktentwickler im Marketing war für mich zwar okay und brachte Kohle nach Hause, aber ich wusste immer, dass ich etwas anderes will. Etwas Größeres… etwas Spannenderes. Selbstständigkeit und direkte Arbeit mit Menschen sollte es beinhalten. Beim frühmorgendlichen Pilgern ins Büro sah ich mich weder von prickelnder, erotischer Stimmung noch von nennenswerter Endorphin-Ausschüttung überwältigt. Aber mir kam auch gar nicht in den Sinn, dass das auf dem Weg zur Arbeit jemals anders sein könnte.

A JOB LIKE ANY OTHER? THE DOMINUS REPORTS ON HIS EXPERIENCES.

Wie ich dazu kam, hauptberuflich meine Brötchen im Ganzkörperlederoutfit zu verdienen, ist eine Frage, die mir nicht nur von Medienleuten, sondern auch immer wieder von Anfängern gestellt wird, die „einsteigen“ wollen. Insbesondere, wenn es um männliche Sexarbeit geht, haben viele Menschen eine ziemlich verklärte Vorstellung von meinem Arbeitsalltag. Es wird dann schnell gedacht, dass man einfach geil abspritzen kann und dafür auch noch bezahlt wird. Spoiler-Alert: So einfach war es nicht und ist es nie geworden, denn gerade beim Einstieg in die Sexarbeit ist die Lernkurve für Anfänger durchaus steiler als in anderen Jobs.

BDSM, Berlin und eine WG

„Du bist verrückt mein Kind, du musst nach Berlin“. Dieses Zitat von Franz Suppè passte für mich wie angegossen, wenngleich ich hier der Spießer unter den Verrückten bin, aber das ist ja auch fein. Es ging für mich dann aufgrund einer Weiterbildung 2013 nach Berlin und durch Zufall traf ich in einer WG auf eine neue Mitbewohnerin, die bereits lange als Domina im größten Studio Berlins arbeitete. Durch die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der wir uns bald über ihre Arbeit im Speziellen, aber auch Sexualität im Generellen unterhielten, wurde mein bisher nur „geheim“ ausgelebter, privater BDSM plötzlich völlig salonfähig und vor allem entstand dabei ein Gefühl für Sexarbeit. Ich stellte zudem fest, dass nichts an meinen sexuellen Vorlieben so wahnsinnig außergewöhnlich war, dass es jemanden aus dieser Runde schockiert hätte. Dieser unerwartete Berührungspunkt mit der kommerziellen BDSM-Szene führte dazu, dass ich bald selbst auf den Gedanken kam, das „Hobby zum Beruf zu machen“.

Erste Station: Sex to go – der Strich

Zu Beginn probierte ich mich als klassischer Escort aus – im Grunde Vanilla-Sex mit Männern gegen Geld in allen möglichen Preislagen. Ich erinnere mich daran, wie ich das allererste Mal auf dem Strich am Bahnhof Zoo herumstand – oder besser gesagt am großen Hin-und-Her-Schlendern und Im-Kreislaufen der Kunden und der Anbieter teilnahm. Einerseits fand ich das alles unglaublich aufregend, andererseits waren da damals auch viele Zweifel im Kopf: Läuft alles gut? Bleibt „Er“ stehen? Der Performance-Druck war nicht ohne und damals fehlte mir manchmal die Lässigkeit,  richtig und gut damit umzugehen.

Der Vorteil vom Strich war und ist, dass hier alles megaschnell geht und nicht viel auf Befindlichkeiten gegeben wird. Genau wie sonst nur beim Cruising wird auch beim Geschäft am Strich keine großartige soziale Interaktion erwartet – entweder es gefällt oder nicht; ist man fertig, geht man wieder. Was soll ich sagen – er blieb stehen und ich ließ mir für einen 20er ein wenig am Schwanz rumlutschen. Das war weder sexuell noch finanziell eine Offenbarung, aber machte Spaß und mir wurde klar, dass ich mich durchaus geeignet fühlte, das zu vertiefen.

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Escort: viel zu viel Service für viel zu wenig Geld

Beim Termingeschäft in Hotels und Wohnungen war der Druck noch größer. Insbesondere, wenn der Kunde schon im Vorfeld ankündigte, wie wichtig es ihm war, dass ich ihn ficke und komme. Als Anfänger sieht man sich dann gern in der Bringschuld, sexuelle Selbstbestimmung hin oder her. Der hat bezahlt, jetzt muss ich auch liefern. Himmel, was hab’ ich da oft für Nummern hingelegt… Man merkt dann erst später, dass man oft viel zu viel Service für viel zu wenig Geld angeboten hat.

Ich versuchte mit dem inneren Druck umzugehen, indem ich mir innerlich einen Ausweg ließ: „Wenn alle Stricke reißen, geb’ ich das Geld einfach zurück.“ Übrigens: Während die eine oder andere Viagra in der Not nicht groß schadet, sieht das mit dem Konsum anderer Substanzen anders aus.

Chemsfriendly?

Chemsex ist in der Schwulen-Szene, vor allem in Berlin, super verbreitet – aber professionellen Anbietern würde ich während der Arbeitszeit davon echt abraten. Nicht aus moralischen Gründen – jeder soll privat machen, was ihn froh macht – sondern weil ich als Sexarbeiter nichts wichtiger finde, als unabhängig und professionell, aber auch in Kontrolle zu bleiben. Kommen Drogen ins Spiel, wird das generell schwieriger. Vor allem unerfahrene Escorts lassen sich auch mal von Kunden drängen, bei irgendwelchen Drogeneskapaden mitzumachen, aus Angst keine Buchung zu bekommen, wenn sie ablehnen. Hier gilt: Abgrenzen.

Steigerung der Quantität durch Fleiß

Sexarbeit bedeutet nicht, im wesentlichen Sex für Geld zu haben. Sexarbeit bedeutet, E-Mails und WhatsApp-Nachrichten mehrfach täglich zu checken, das individuelle Angebot regelmäßig in aktuellen Bildern festzuhalten und sich dabei auch immer wieder neu zu erfinden. Dabei sollten Social-Media-Accounts gepflegt und alle Profile im Netz aktuell gehalten werden, und für kostenpflichtige Anzeigen muss man oftmals langwierige, innerliche „Kosten-Nutzen-Rechnungen“ erbringen. Die Bereitschaft zum tagelangen Verreisen bis hin zum „Beine in den Bauch stehen“ auf Erotik-Messen gehört ebenso zum Arbeitsalltag mit dazu. Ich zog in eine eigene kleine Wohnung und richtete mir in meinem Schlafzimmer ein paar Möglichkeiten zum Fesseln ein. Der Fokus meiner Arbeit verlagerte sich so schrittweise auf BDSM, denn das Thema liegt mir im Blut – das kann ich bis heute stundenlang.

Steigerung der Qualität durch Vernetzung

Eines der bedeutendsten Merkmale der männlichen Sexarbeit ist die im Vergleich zu den Frauen mangelnde Bereitschaft, sich zu vernetzen. Der schwule Mann ist eben gern Einzelgänger. Frauen sind übrigens gar nicht im Puff, weil davor ein Security auf sie aufpasst, sondern weil die Frauen begreifen, dass man zum Beispiel in einer gemeinsam angemieteten Wohnung für Sexarbeit Kosten einsparen kann und im Puff sogar noch durch die vielen anderen Kolleginnen astreine Marketingsynergien entstehen.

Ich gestehe, dass ich diesen Weitblick seinerzeit aber noch gar nicht hatte, sondern aus viel pragmatischeren Gründen ein Studio aufsuchte, denn in einer Wohnung sind einfach die Mittel für gute und vor allem laute BDSM-Sitzungen begrenzt. Und nun vereinbarte ich immer mehr Termine im Studio. Damals arbeitete ich auf Tagesmiete und wollte deshalb so viel wie möglich abarbeiten. Tipp: als Mann mit entsprechender Auftragslage, sorgst Du eben dafür, dass du vorher ordentlich Druck hast und bist vor einem solchen Tag ein paar Tage enthaltsam.

Steifer Schwanz als Seismograph für die eigene Lust?

Doch da ich damals dachte, ich muss jedem Kunden stundenlang einen harten Schwanz präsentieren, obwohl ich beim vorherigen schon abgespritzt hatte, machte es die ganze Sache manchmal wirklich anstrengend und wie sich herausstellt: unnötig.

So richtig verstanden habe ich das mit der fehlenden Bringschuld im BDSM-Studio erst, als mich damals eine der ältesten Frauen und mit 78 Jahren eine äußerst erfahrene Domina zur Seite nahm. Sie setzte sich in der Puffküche vor mich hin, spreizte die Beine und zeigte in die Mitte: „Das hier ist was ganz Besonderes. Da darfst du nicht sofort jemand ranlassen. Wenn überhaupt, dann ist es eine Ausnahme und eine Ehre!“. Und es hat „Klick“ gemacht.

Danach wurde mir auch klar, dass ich sowieso gar nicht der klassische Super-Hengst sein wollte, der sein Gegenüber ohnmächtig vögelt. Zumal es diese Angebote in der Schwulen-Szene, die ich damals hauptsächlich bediente, wie Sand am Meer gab und gibt – bei männlich-weiblicher Sexarbeit naturgemäß noch viel mehr. Die meisten meiner bisherigen Kunden waren ohnehin auf eine ganz andere erwerbliche Eigenschaft meinerseits angesprungen – mein bereits im Privaten geschärftes Talent zum Spiel mit Kontrolle und Unterwerfung, Dominanz und Hingabe.

Ich merkte zudem, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt, dem Gegenüber zu zeigen, dass man gerade geil ist, als ein steifer Pimmel. Das ist im Übrigen der entscheidende genderübergreifende Tipp für Starter in der Sexarbeit: Ich versuche immer sexuell zu empfinden und Spaß am Auftrag zu bekommen, egal, wie sich das Treffen entwickelt. Das sorgt dafür, dass Menschen wiederkommen, denn Kunden wollen echte Gefühle, keine reinen Handlungen.

BDSM, Tantra, Sex-to-go, Kuscheln, harte Penetration …was ist das Richtige für mich?

Es ist ganz normal am Anfang verschiedene Bereiche der Branche auszuprobieren und mal in das eine oder andere reinzuschnuppern, bevor man das für einen persönlich Richtige findet. Was vielleicht des einen Alptraum ist, macht dem nächsten Spaß oder ist total okay – das ist ganz individuell. Dabei darf man auch nicht darauf reinfallen, was von außen „besser“ aussieht. Ich kenne manche Kollegin, die die hoch bezahlten „Luxus-Escorts“ zu Gunsten von schlechter bezahlten Kurzterminen aufgegeben hat. Die Masse macht nämlich ebenfalls viel Kohle und ist wie gesagt weniger emotional anspruchsvoll. Die sogenannte „Emotionsarbeit“ ist vor allem in der Hetero-Sexarbeit, generell auch im BDSM-Bereich, ein wichtiger Faktor – das emotionale Einlassen und Betreuen von Kunden und Kundinnen kann viel Energie kosten.

Gerade Anfänger müssen dabei so schnell wie möglich lernen, wie sie im Kontakt mit Kunden oder Kundinnen ihre Ressourcen schonen. Vor allem ist es wichtig, Selbstschutz zu praktizieren und zu lernen, Grenzen zu setzen, jedoch ohne dabei als „kühler Sexdienstleistungsprofi“ rüberzukommen. In der Regel kreiert jeder eine eigene „Sexwork-Persona“, um für sich persönlich eine Abtrennung zwischen dem privaten (Sex-)Leben und dem Arbeitsalltag zu ziehen. Ich hatte das große Glück, dass ich in der Puffküche des Studios ständig Gelegenheit hatte, mich mit den „Profis“ auszutauschen, die Stimmung rund um die Arbeit und auch aus zweiter Hand anderer Leute Sessions mitzuerleben.

Sowohl Anfängern als auch Anfängerinnen möchte ich deutlich raten, das Wissen und die emotionale Unterstützung anderer erfahrenerer Sexworker einzuholen. Gerade weil das Stigma in der Gesellschaft groß ist, ist es wahnsinnig hilfreich, mit anderen aus der Branche offen sprechen zu können. Vernetzt euch, nehmt an Stammtischen teil, tauscht euch aus. Die größte Plattform in Deutschland hierzu ist der Berufsverband Sexarbeit (www.berufsverband-sexarbeit.de), wo zum Beispiel immer wieder Online-Workshops speziell für Sexworker stattfinden.

Die wichtigsten drei Punkte, die Anfänger mitnehmen sollten, bevor sie sich beruflich in die Sexarbeit stürzen, sind:

  • Du kannst in der Sexarbeit sehr gut verdienen, wenn du auch Zeit in deine Arbeit investierst und somit gutes Marketing betreibst.
  • Sexarbeit ist nicht wie privater Sex. Unabhängig davon, ob man Vanilla, dominante oder submissive Dienstleistungen anbietet, hat der professionelle Part in Situationen mit dem Kunden oder der Kundin den Hut auf. Was, wie und wie lange wird es gemacht? Anders funktioniert es nicht, beziehungsweise führt auf Dauer zum Burnout – selbst beim Kuscheln.
  • Selbstschutz geht vor: Bei der Sexarbeit arbeitest du mit dem eigenen Körper und den eigenen Emotionen – beides solltest du als Ressource liebevoll behandeln und rechtzeitig lernen, Grenzen zu setzen bei jedoch gleichzeitiger sexueller, authentischer Wärme für deine Kunden. (db)

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