Kommen ohne Saft: Die Realität hinter dem Orgasmus bei Männern

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Markus spürte, dass er kurz davor war, zu kommen. Wenige Sekunden später hatte er einen Orgasmus. Das wohlige Gefühl breitete sich in seinem Körper aus, doch etwas war anders – er blickte an sich herab und sah, dass er nicht abgespritzt hatte. Kein Tropfen Sperma war zu sehen. Was war passiert? Und hatte er dann überhaupt einen „richtigen“ Orgasmus gehabt?

Kommen, ohne zu kommen?

Für alle Spermafreunde ist es der blanke Horror – kommen, ohne zu kommen. Doch was war passiert? Eine Woche zuvor war bei Markus eine Prostata-Entzündung diagnostiziert worden und sein Arzt hatte ihm das Mittel Tamsulosin verschrieben – ein gängiges Medikament bei solchen Erkrankungen, das den Drang des unkontrollierten Wasserlassens während einer solchen Entzündung reduziert. Ein häufig auftretender Nebeneffekt dabei sind Schwierigkeiten oder das gänzliche Ausbleiben des Samenergusses. Oftmals wird das Ejakulat dabei rückwärts in die Harnblase ausgestoßen (in der Fachsprache: retrograde Ejakulation). Für Markus war das ein seltsames und irgendwie verstörendes Gefühl: „Ich finde Sperma schon eine wichtige und geile Sache beim Sex, auch meine Sex-Dates stehen darauf. Ich hatte erst einmal Angst, was jetzt passiert – und zudem fühlte es sich irgendwie nicht fertig an! Als hätte ich versagt!“

Inzwischen kann Markus wieder beruhigt auf Männerfang gehen, nachdem er auskuriert war und das Medikament absetzen durfte, ejakuliert er heute auch wieder wie zuvor. Was für den jungen Mann aus Berlin also nur eine kurze Phase war, ist für beinahe jeden fünften schwulen Mann allerdings ein länger anhaltendes Problem und lässt sich zudem nicht ganz so einfach lösen.

Kein Saft im Schaft – jeden fünften Mann trifft es!

Bevor man sich die Details betrachtet, muss dabei allerdings zunächst einmal klargemacht werden, dass eine Ejakulation auch ohne Orgasmus und ein Orgasmus auch ohne Ejakulation möglich ist. Auch wenn das Abspritzen für viele schwule Männer zwingend zum sexuellen Höhepunkt dazu gehört, zeichnet die Realität ein etwas anderes Bild: Ein Orgasmus ist auch mit nur geringem oder gar keinem Samenerguss trotzdem ein „richtiger“ Orgasmus. Das Genussempfinden im Kopf ist das gleiche, lediglich unsere eigenen Erwartungen mindern vielleicht das Erlebnis.

Diese gehemmte Ejakulation gilt als die zweithäufigste Sexualstörung bei schwulen Männern gleich hinter dem vorzeitigen Samenerguss. Die Studienergebnisse variieren dabei, gehen aber davon aus, dass zwischen 14 und 22 Prozent (Quellen: Bahr+Week/ McWhirter+Mattison) der homosexuellen Herren darunter eine Zeit lang oder längerfristig leiden. Man spricht dabei von der sogenannten Anejakulation. Im Unterschied zur Ejaculatio retarda, die einen stark verzögerten Samenerguss beschreibt. Beide sexuellen Funktionsstörungen sind für Betroffene oftmals stark deprimierend, gerade auch in der schwulen Community, in der die Lust nach einem starken und massiven Samenerguss omnipräsent ist: Kerle mit einer großen Flüssigkeitsausfuhr beim Orgasmus sind auf allen Dating-Portalen bis heute sehr beliebt. Zu unterscheiden ist hierbei allerdings die krankheitsbedingte „totale“ Anejakulation, also jener Zustand, bei dem es ungewollt niemals oder eine gewisse Zeit lang zu keinem Samenerguss kommt, sowie im Gegenteil dazu das bewusste Verhindern einer Ejakulation – zum Beispiel als Spielart zwischen Männern, um einen multiplen Orgasmus oder die Verlängerung des Erlebens des Höhepunktes zu erreichen. Man spricht hier von einer Injakulation, auch „Sächsischer Griff“ oder Jen-Mo-Punkt genannt. Dabei wird durch Druck auf die Stelle zwischen Hodensack und After oder durch Anspannung des PC-Muskels die Ejakulation verhindert. Ebenso ausgenommen von diesem Krankheitsbild ist der „trockene Orgasmus“, der einen Orgasmus ohne Erguss beschreibt und der bei noch nicht geschlechtsreifen Jungs in der Pubertät vorkommt.

Klargestellt werden muss dabei auch, dass die Menge der Samenflüssigkeit von Mann zu Mann unterschiedlich ist – das hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, darunter zählen unter anderem Erbanlagen, Ernährung, tägliche Flüssigkeitszufuhr oder ob jemand viel raucht, Alkohol oder Drogen einnimmt. Ein weiterer Faktor ist die Häufigkeit – wer mehrmals pro Tag ejakuliert, spritzt weniger ab als jemand, der seltener kommt. Ein Grund, warum Pornostars gerne auch einmal zwei bis drei Tage vor einem Filmshooting nicht masturbieren. Auch die Dauer der Erregung spielt eine maßgebliche Rolle: Je länger man sich Zeit nimmt, desto mehr Sperma kommt in der Regel auch am Ende dabei heraus. Die durchschnittliche Spermamenge liegt dabei zwischen zwei und sechs Milli-Litern. Das entspricht in etwa einem halben bis zu einem ganzen Teelöffel voll mit Saft. In einem ganzen Leben produziert ein Mann statistisch gesehen zwischen 50 und 70 Liter Sperma.

Weg mit falschen Erwartungen!

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass nicht jeder unter einer sexuellen Störung leidet, der zwischendurch mal deutlich weniger abspritzt als gewohnt. Gerade wir schwulen Kerle werden dabei immer mal wieder auch gerne fehlgeleitet von unseren falschen Erwartungen, die uns Pornofilme vorleben. Dabei wird gerade im professionellen Hardcore-Sektor sehr gerne auch mit unechtem, künstlich produzierten Ejakulat gearbeitet, sodass die Körper der Männer dann wunschgemäß über und über mit scheinbar gigantischen Mengen von Sperma bedeckt sind. Porno bleibt auch hier eine wunderbare Fantasie, die wir genießen dürfen, aber nicht als Eins-zu-Eins-Erwartungshaltung in unser Sexleben einbauen sollten.

Die Ursachen einer wirklichen Anejakulation oder eines stark verzögerten Samenergusses sind vielfältig – sie können sowohl psychisch wie physisch bedingt sein. Bei letzterem Fall kann eine länger andauernde Anejakulation ein Anzeichen für eine Verletzung an der Wirbelsäule oder dem Rückenmark sowie die Folge von operativen Eingriffen im Beckenbereich sein. Auch die Verletzung der Harnröhre durch extreme sexuelle Spielarten oder Unfälle beim Sex sind denkbar. Neurologische oder stoffwechselbedingte Ursachen können Multiple Sklerose oder auch Diabetes mellitus sein. Häufiger treten die Funktionsstörungen allerdings durch psychische Beschwerden auf – darunter zählen die altbekannten Klassiker wie Stress, Leistungsdruck, Depression oder Angstzustände. Zuletzt wie in Markus´ Fall kann natürlich auch eine Wechselwirkung mit einem Medikament die Ursache dafür sein – zum Beispiel auch die Einnahme eines Antidepressivums.

Was kann ich tun?

Erst einmal Ruhe bewahren und nicht gleich in Panik geraten. Handelt es sich um ein kurzweiliges Phänomen und treten keine weiteren Symptome auf, sind die Ursachen meistens harmlos. Halten die Beschwerden länger an oder beschäftigt dich die Problematik stärker, ist stets der Besuch eines Urologen zu empfehlen. Dabei kann der Facharzt in einem ersten Schritt schnell feststellen, ob es sich um eine körperlich oder mental bedingte Störung handeln könnte. Ein genereller Kernpunkt im Umgang mit dem eigenen Samenerguss ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Der Vorgang von der ersten Lust bis hin zum Orgasmus samt Abspritzen ist komplex und verlangt nach Aufmerksamkeit. Bereits störende Kleinigkeiten (Gerüche, Lärm, Ekel) können nicht nur das Erleben der Lust selbst und den Sexrausch im Kopf, sondern auch das Endergebnis – den Samenerguss – stark beeinflussen. Daher ist es immer ratsam, mit Ruhe und etwas mehr Respekt und Zeit Hand am eigenen Körper anzulegen oder anlegen zu lassen.

Verbessern lässt sich die Sache natürlich zudem durch ein neues Stressmanagement oder auch ganz praktischen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur. Je  jünger, desto schneller und leichter lassen wir uns erregen und machen uns kaum Gedanken darüber, dass unser bester Freund sich einmal nicht so verhält, wie wir uns das vielleicht wünschen. Dabei muss klar sein, nicht nur für schwule Männer jenseits der 30iger Jahre gilt es, achtsam mit sich und seiner Libido umzugehen, auch jüngere Homosexuelle können mit etwas mehr Achtsamkeit ihr sexuelles Erleben steigern und nachhaltig auch bereits heute für ein langes und erfülltes Sexleben vorarbeiten. Inklusive eines Samenergusses, der dir und deinem Partner ein Lächeln ins (spermabespritzte) Gesicht zaubert. (jh)

Redaktionhttps://him-magazine.de
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