MR. LEATHER HAMBURG 2022

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Bitte stelle uns zu Beginn deinen Mister-Titel vor – warum ist dieser wichtig für die Community? Welche besondere Botschaft und Aufgabe soll ein Mister mit deinem Titel in die Welt hinausschicken? Und was fasziniert Dich an deinem Fetisch? Wie bist Du selbst dazu gekommen?

Moin! Leder hat mich schon in sehr jungen Jahren fasziniert, bis ich mit 21 meine erste gebrauchte Lederhose gekauft habe. Meine Güte! Dieses Gefühl, das erste Mal in Leder zu sein, ließ mich nie wieder los. Es hat sich eher mit den Jahren weiterentwickelt und hat für mich eine neue Welt des Schwulseins eröffnet. Ich denke fast, dass es zu meiner persönlichen Entwicklung positiv beigetragen hat, da es ja um die Akzeptanz seiner eigenen Wünsche und Präferenzen geht. In meinen Augen ist es wie ein zweites Coming-Out. Erstmal als schwuler Mann in meinem Fall und dann als Ledermann. Beide Facetten waren in mir drin, wollten raus in die Welt und mit Stolz getragen werden. Aber das ist nicht ohne! Ein zweites Coming-Out erfordert Mut, tut zum Teil weh und exponiert einen, in eine gesellschaftliche Schublade gesteckt zu werden. Es lohnt sich aber, diesen Schritt zu wagen und der Welt zu zeigen, wer du bist. Das wird mit Freiheit, Zufriedenheit und mit neuen Freundschaften und Unterstützung belohnt. Das war meine Botschaft und meine Motivation, Mister zu werden, das eine oder andere Individuum dazu zu inspirieren, seine oder ihre Fetische und Hobbies zu akzeptieren und auszuleben. Klar, solange das keinem schadet. Ich wollte mit meinem Beispiel zeigen, dass es sich lohnt. Und meine zweite Motivation war es, der Hamburger Ledercommunity Sichtbarkeit zu geben. Wir waren in der Stadt schon mal groß, danach wurde es weniger. Nun sehe ich mit großer Freude, dass es wieder bergauf geht! Beweis dafür war die CSD-Demo im August mit der größten Fußgruppe an Leder- und Fetischpersonen inklusive 19 Schärpen-Trägern aus der ganzen Welt! Der Stolz und der Lederglanz sind zurück in der Stadt. Die Arbeit hat sich gelohnt. 

Noch immer steht gerade auch der Fetisch in der Kritik, sowohl innerhalb wie aber auch außerhalb der Community. Immer wieder wurden auch in den letzten Jahren Stimmen laut, gewisse Fetische würden nicht in das Bild der Community passen oder würden der Community gerade bei politischen Forderungen eher schaden als nützen. Wie blickst Du auf diese Kritik?

Ich denke, dass wir die Freiheit, die wir als queere Community in vielen westlichen Ländern genießen, unseren mutigen Vorgängern zu verdanken haben. Dabei waren die Drags, Transpersonen, Ledermänner am sichtbarsten, denn wir sind optisch erkennbar. Und sie haben Platz und Freiheiten für die zukünftigen Generationen geschaffen. Daher denke ich, dass Fetisch auch Teil der Community ist. Genauso wie die Welt bunt ist, sind wir’s auch: in allen Größen und Farben. Das macht uns aus.

Es gibt inzwischen immer mehr Mister-Wettbewerbe und viele Mister-Vertreter für die jeweiligen Fetische oder Regionen. Mancherorts entsteht der Eindruck, es gibt zu viele Mister oder Titel werden beliebig vergeben, ohne tieferen Sinn dahinter. Wie siehst Du das? Brauchst es so viele unterschiedliche Mister-Träger? Und falls ja, warum?

Ich hätte mir als junger Mexikaner einen Mr. Leather in meiner mexikanischen Provinzstadt gewünscht, den ich als Vorbild, als Beispiel der Akzeptanz hätte sehen können. Mit dem ich mich hätte identifizieren können und der mir gezeigt hätte, dass auch Jungs wie ich Lederkerle sein könnten. Jemand, der sein Gesicht für die Community mutig zeigt. Er hätte mir geholfen, mich nicht lange zu verstecken oder zu denken, dass mein Lederfetisch schräg war. Ich denke, das ist die Wichtigkeit von Mistern in der Szene. Als Subkultur ist es wichtig, unsere eigenen Repräsentanten auf Zeit zu haben – und nicht nur in den Hauptstädten.

Der Träger eines Mister-Titels soll seine Community, seine Szene, nach außen vertreten, beispielsweise bei Events in der Community. Besteht für Dich auch die Chance, dass Titelträger als eine Art von Brückenbauer auch die gesamte Gesellschaft insgesamt erreichen und vielleicht so auch mehr Verständnis außerhalb der Community erreichen können?

Absolut! Und das ist sehr wichtig. Denn wie kann man erwarten, dass die allgemeine Gesellschaft unsere kleine Community versteht, wenn sie sie nicht kennt. Dazu finde ich die CSD-Demonstrationen eine tolle Gelegenheit, in Kontakt mit den Zuschauern zu kommen, mit Leuten und mit Medien zu sprechen. Wir sind nur Menschen, die Leder tragen. Genauso wie andere auf Schminke, Puppy-Masken, Sneakers oder Sportartikel stehen. Zusammen mit meinem guten Freund Arian haben wir letztes Jahr das Leather Social Hamburg initiiert, ein lockeres Zusammenkommen von Ledermännern am Sonntagnachmittag mitten in der Stadt. Ziel dabei ist, unsere Community von innen zu stärken und besser zu vernetzen. Was dabei auch passiert, ist, dass die Leute und Passanten uns beim Socialising sehen können. Sowas normalisiert das Bild des Ledermannes in der Öffentlichkeit.

Die Fallzahlen bei der Hasskriminalität gegenüber der Gay-Community steigen in vielen Ländern weltweit wieder an, die Akzeptanz von Homosexuellen in der Gesellschaft sinkt erstmals wieder (Ipsos Studie 2023), dabei wird auch die Kritik immer lauter, die Community zeige sich „übersexualisiert“ und befeuere damit sozusagen Hass und Gewalt gegenüber Homosexuellen. Geht eine „Gefahr“ von unserer Sexualität, unseren unterschiedlichen Fetischen aus? Wie siehst Du das?

Ich find es nur traurig, dass die Entwicklung der Akzeptanz der queeren Community rückwärtsgeht. Nach dem, was schon mal gewonnen worden war. Ich denke nicht, dass es die Zeit ist, leise zu bleiben, aber auch nicht aggressiv. Eher verstärkt als Community, ansprechbar, sichtbar und greifbar. Das trägt zu unserem Schutz positiv bei.

Lass uns bitte einmal kritisch auf die Fetisch-Community blicken: Wo siehst Du intern Probleme? Welche Aspekte müssten dringend verbessert werden? Wo läuft etwas falsch und wie lässt sich das ändern?

Aus meiner Sicht sollten wir gemeinsam auftreten, da wir nur gemeinsam stark sind. Unabhängig von Gruppen, Vereinen, Assoziationen, Städten und Clubs verbindet uns die Tatsache, dass wir queer sind. Diese Vielfalt der queeren Community sollte überall vertreten sein und uns als verbindendes Element gelten statt als Trennung.

Seit rund zwei Jahren gibt es auch vermehrt Streit in der Community, teilweise kommt es zu Spaltungsprozessen zwischen LGB und TQ+, gerade weil Schwule und Fetisch-Freunde großen Wert auf das biologische Geschlecht als Grundlage für ihre Sexualität und ihren Fetisch legen, TQ+ aber im Grunde die „Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit“ anstrebt. Wie erlebst Du diesen Streit und was sagst Du dazu?

In diesem Jahr habe ich in Chicago beim International Mister Leather Wettbewerb teilgenommen. Da war ich zum ersten Mal auf einem Wettbewerb mit Transmännern auf der Bühne. Das habe ich in Europa noch nicht persönlich erlebt. Vielleicht geht die Entwicklung auch in diese Richtung. Noch ein Unterschied, den ich dort gesehen habe, war die „Übersexualisierung“ der Szene, was bei uns, denke ich, nicht der Fall ist. Hier treten wir bedeckter, vielleicht dezenter auf im Vergleich. Konkret zu deiner Frage: Ich denke, dass es wie in einer Paarbeziehung funktionieren kann. In einer Ehe gehen beide gemeinsam asiatisch essen, der eine Partner geht aber auch mit seinen Kumpels griechisch essen und der andere Partner wiederum nur mit seinen Kumpels Burger essen. Wir sollten Orte, Situationen, Plattformen schaffen, wo alle Buchstaben+ zusammenkommen können, aber auch Optionen, wo jeder Buchstabe gemeinsam unter sich sein kann. Einige sprechen von Safe Spaces. Ob das Teil der Entwicklung ist, keine Ahnung. Aber ich sehe dort zumindest das wenigste Potenzial für Unzufriedenheit und Unmut. 

Für Menschen, die das vielleicht noch nicht kennen: Was ist für Dich das Besondere an Deinem Fetisch und der Community? Viele Fetisch-Freunde berichten von einer besonderen Freiheit im Kopf. Was würdest Du sagen?

Die Leder- und Fetisch-Community ist von viel Akzeptanz, Freiheit, Kameradschaft und Unterstützung geprägt. Alter, Körperbau, Schönheit, Herkunft sind meiner Meinung nach untergeordnet. Uns verbindet der Fetisch, das „anders“ sein. Und das liebe ich!

Die Fetisch-Welt entwickelt sich immer weiter, jedes Jahr kommen neue Fetische hinzu. Wo siehst Du die gesamte Fetisch-Community in den nächsten zehn Jahren? Welche Entwicklungen würdest Du dir wünschen?

Schwierige Frage ohne Glaskugel 🙂 Ich wünsche mir jedoch, dass die Akzeptanz und Sicherheit nicht rückwärts verlaufen. Da können wir als Community für den gewonnenen Platz weiter einstehen. 

Mancherorts gibt es Nachwuchsprobleme beim Fetisch, viele junge Schwule haben entweder Berührungsängste oder können vielleicht mit dem Fetisch nicht mehr viel anfangen. Hat sich der Fetisch in gewisser Weise überlebt und ist nur noch eine Sache für „ältere Männer“ geworden oder trübt der Eindruck? Und wie könnte man die Jugend vielleicht für den Fetisch wieder begeistern?

Es kommt gerade viel Nachwuchs. Das ist zumindest der Eindruck, den ich in Hamburg habe. Durch das Leather Social Hamburg kommen einige Newcomer zu uns. Da ist die Hürde kleiner als in eine Lederbar zu gehen. Zumal wird jeder von mir und Arian und der Gruppe offen aufgenommen und direkt angesprochen.  Häufig bleiben und wachsen sie mit uns. Unter uns gibt es einige mit vielen Jahren in der Szene, die sie auch auf ihrem Weg unterstützen können. Ich bin übrigens 43 Jahre alt und mit 21 bin ich in diese schöne glänzende, knarzende und ledrige Welt gekommen. Am Anfang war ich ein Newcomer, lernte dann Leute kennen und blieb!

Christian, vielen Dank Dir für das Gespräch! (ms)

Instagram @lthr.biker sowie @leathersocial_hamburg / Leather Social Hamburg: 29.10. / 17 Uhr / Generation Bar Hamburg

Fotograf Karol Plonski / Instagram @karolplonskiphotography

Redaktionhttps://him-magazine.de
Wir verstehen uns als ein ehrliches, sexpositives Magazin, das nicht fremdbestimmt Themen vorgibt, sondern mit der Community zusammen Themen anspricht.

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