Digitale Hetze und reales Unverständnis: Der stille Schrei nach echter Diskussion und Verständnis

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Wollen wir heute doch noch einmal ausführlich über Hate Speech reden, also hasserfüllte Sprache im Internet. Wir alle kennen sie, viele von uns erleben Vorfälle dieser Art Monat für Monat, für manche sind sie bereits zum Alltag geworden. Dabei erfolgen die Angriffe nicht nur von außerhalb und vom rechtsextremen oder homophoben Rand der Gesellschaft, sondern gerne auch einmal direkt aus unserer Community – eine kritische Frage reicht hier bereits aus, um irgendwas-phob zu sein, je nach Bedarf. Das Traurige an all dem Hass ist allerdings, dass er wohl tatsächlich immer mehr zu einer hinnehmbaren Selbstverständlichkeit verkommt – die jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen dabei sehr klar auf, dass jeder vierte deutsche Internetnutzer (27%) im Alter zwischen 16 und 74 Jahren davon betroffen ist – am schlimmsten geht es bei jungen Deutschen ab, hier hat bereits mehr als jeder Dritte (36%) Hass und Hetze in digitaler Form erlebt. Die Studienexperten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer noch viel größer sein könnte.

Ganz klar zeigt sich dabei auch eines der wesentlichen Aspekte, warum Menschen online angegriffen werden – es ist ihr sexuelle Orientierung, kurz gesagt, ihre Homosexualität. Heteromänner erleben doch eher selten, dass man sie als abnormal beschimpft, weil sie gerne Frauen vögeln. Dazu kommen noch verschiedene politische und gesellschaftliche Aspekte, die immer weniger akzeptiert werden, sondern direkt erneut als Triggerpunkt dafür sorgen, dass wir beschimpft und angegriffen werden. Jeder, der online erklärt, es gibt nur zwei Geschlechter, kann davon sofort ein Liedchen singen. Frei nach dem Motto der Savanne: Wer am lautesten brüllt, hat recht. Dazu passend zeigte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Dezember 2023 auf, dass inzwischen 44 Prozent der Menschen in Deutschland davon überzeugt sind, vorsichtig mit ihrer freien Meinungsäußerung sein zu müssen – man dürfe nicht mehr alles sagen.

Jene, die verbal gerne hier sofort gegenargumentieren oder eben aufrüsten, erklären dann einmal mehr nach einer solchen Studie, dass genau die Publikation jener Daten doch zeige, dass man eben doch noch alles sagen dürfe. Vielleicht liegt dem auch einfach ein großes Missverständnis zu Grunde, denn blickt man sich die Studie im Detail an, zeigt sich, dass beinahe die Hälfe der Deutschen sich schlicht nicht mehr traut, frei zu sprechen, weil sonst sofort der nächste Angriff oder Shitstorm folgt, der je nach Heftigkeit und Angriffslust massive Auswirkungen auch auf des reale Leben haben kann – vom Job- bis zum Gesichtsverlust. Die zweite Keule, die verbal dann gegen jene Menschen geschwungen wird, ist die Behauptung, dass dies nur an den Aussagen selbst liege, also zumeist rassistisch oder auch gerne menschenfeindlich oder queerphob unterwandert sei. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass wir offenbar immer mehr verlernt haben oder sektengleich verlernen sollen, miteinander zu diskutieren, streitbare, verschiedene Positionen aushalten zu können, ohne sich gegenseitig sofort ekelhafte Geschlechtskrankheiten oder den Tod an den Kopf wünschen zu wollen. Mich beschleicht dabei oftmals der Verdacht, dass die Radikalität der Angriffe in Verbindung mit dem Verschwinden von angewandtem Diskussionspotenzial sehr oft damit zusammenhängt, dass schlicht sachliche nüchterne Argumente fehlen. Dazu werden Diskussionen, die es wert sind, geführt zu werden, sehr gerne sehr schnell und vor allem sehr gerne in der queeren Community emotional aufgeladen und damit de facto augenblicklich beendet. Eine Diskussion wird als Angriff gewertet, als persönliche, tiefe Verletzung, die deswegen dazu verpflichten soll, sofort zu schweigen.

So lässt nicht nur keine Diskussion mehr führen, es gelingt schlicht auch immer weniger, um Kompromisse zu ringen und gegenseitig tatsächlich etwas zu lernen. 16 Millionen Deutsche erleben Hate Speech bisher im Internet – es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen weiter ansteigen werden, denn wir sprechen immer weniger miteinander, wir reden nur noch und das auch nur in der eigenen Bubble, wenn vorher bereits klar ist, dass keine Kritik laut werden darf. Inhaltlich hat das mit einer Diskussion und einem einstmaligen Ziel des besseren Verständnisses oder gar eines Erkenntnisgewinnes nichts mehr zu tun, es bleib Ego-Gewichse ohne Cumshot.

Ein letztes Problem mag zumindest für Homosexuelle meiner Generation noch dazukommen – man kann die emotionale tiefe Ergriffenheit und Verletzung des Gegenübers nicht mehr nachvollziehen oder oftmals ernst nehmen. Ja, das Wort mag mächtiger sein als das Schwert, aber es beschleicht mich der Eindruck, es reicht schon ein leichtes Räuspern oder Husten, damit auf der anderen Seite eine mehrjährige Therapie die Folge ist. So will sich bei mir einfach auch kein tiefes Verständnis für eine queere Generation einstellen, die an anderer Stelle beispielsweise unter „Speisekartenangst“ leidet. 86 Prozent der jungen Erwachsenen bis 24 Jahre gaben in einer britischen Befragung an, diese Furcht zu erleben, ausgelöst durch die Tatsache, hier nicht durch digitales Klicken, sondern durch Sprache kommunizieren und in diesem Fall Essen bestellen zu müssen. Im Restaurant erlebe die Generation Z den „Rückfall in eine längst überwunden geglaubte bühnenhafte Fleischlichkeit“, schreibt verständnisvoll das Zeit-Magazin. Online könne man seine Kaufentscheidung stets revidieren, im Lokal funktioniere das schwerer. Und weiter: „Da wir inzwischen gewohnt sind, unsere Befehle und Beschwerden an Bildschirmen abzuladen, zeigen wir uns im Restaurant überfordert: von der Nichtlöschbarkeit aller Vorgänge.“ Eine Generation, die scheitert an der realen Welt. Besser noch – sie scheitert bereits dabei, jemand anderen zu beauftragen, ihnen fertiges Essen mundgerecht an den Tisch zu tragen. Vielleicht liegt genau darin aber auch die Lösung gegen Hate Speech – weg vom Digitalen, zurück in eine reale Welt. Vielleicht gelingt es dann, besser zuzuhören und nicht jede Meinung, die nicht der eigenen entspricht, sofort digital niederzuschreien. (mm)

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