Wie geht es deiner schwulen Seele?

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Ein Buch, das tief in unsere schwule Lebenswelt eintaucht.

Peter Fässlacher ist Moderator und Sendungsverantwortlicher des ORF-III-Magazins “Kultur Heute“ – ein schwuler Mann Mitte 30, der sich in seinem ersten Buch der schwulen Seele gewidmet hat. Gibt es das überhaupt? Das Buch sorgte bereits vorab für Schlagzeilen, da Sittenwächter Facebook die Ankündigung zum Druckwerk sperren ließ, es verstoße angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards.

Wie unsinnig einmal mehr solche Sperrungen sind, belegt indes das Werk von Fässlacher auf spannende Weise. Der Österreicher hat dabei ein Debüt geschrieben, das kein Ratgeber sein will, aber gerade durch seine persönlichen Erfahrungen sowie seine, teils sehr intimen Details der eigenen Bewusstseinswerdung als schwuler Mann für viele, gerade jüngere Homosexuelle durchaus viel Rat und Information bietet. Für schwule Männer jenseits des 35. Lebensjahres, die bereits durch all die klassischen Höhen und Tiefen der homosexuellen Selbstfindung und Eigen-Positionierung in der Gay-Community gegangen sind, ist viel Bekanntes dabei – was den Lese-Spaß aber trotzdem keineswegs schmälert.

Nebst der Darstellung der klassischen Probleme in der Community, dem Gefühl der Minderwertigkeit, der Furcht, zu sich zu stehen sowie sich zu zeigen und der Angst vor Zurückweisung und Ablehnung, stellt Fässlacher dabei auch scheinbar einfache Fragen, wunderbar auch grafisch ansprechend umgesetzt vom Luftschacht Verlag, die mit ganzer Kraft nachhallen und Alt wie Jung dazu zwingen, innezuhalten und sich selbst ein Stück mehr zu hinterfragen. Einige Sätze haben dabei immer wieder eine besondere Gewichtung, beispielsweise: „Das Skurrile an der Perfektion ist: Der Abstand zwischen »Ich bin« und »Ich sollte sein« kann immer größer werden, je perfekter man nach außen wird. Weil man zu einer Person wird, die immer weniger die ist, die man selber ist.“

Dem österreichischen Moderator ist dabei Erstaunliches gelungen – während er selbst in den letzten Jahren durch diese Entwicklung gewandert ist, hat er die Gabe entwickelt, quasi von außen gleichzeitig auf die Gesamtsituation zu blicken und das Geschehen zu reflektieren, eine stetige Selbsthinterfragung, die auf Interesse und nicht auf ein Gefühl von Minderwertigkeit beruht. So würden schwule Männer schon sehr früh auch das Talent entwickeln, die Bedürfnisse anderer zu erkennen und darauf zu reagieren, stets auf der Suche nach Anerkennung. Gerade in den ersten Jahren in und nach unserem Coming Out neigen viele Homosexuelle auch in der Tat dazu, eine Kritik an einem Aspekt ihres Lebens als Zurückweisung als gesamtes zu interpretieren.

Auch auf der Suche nach unserem Platz in dieser Gay-Community definieren wir uns manchmal wohl etwas vorschnell, nur um sich angekommen zu fühlen. Fässlacher: „Je nach Aussehen, Alter und Typ ist man sehr schnell ein Bär, ein Daddy, ein Otter, ein Jock und so weiter. Das Gute an diesen Begriffen: Jede dieser Bezeichnungen geht mit einer gewissen erotischen Attraktivität einher. Man könnte leicht glauben, damit seinen Platz gefunden zu haben.“ All unsere besonderen Talente um das Buhlen nach Anerkennung und die eigenständige Einteilung innerhalb der schwulen Welt zeige dabei eines deutlich: „Viele schwule Männer wissen selbst nicht genau, wer sie eigentlich sind. Nämlich wirklich sind. Sie wissen nicht, was sie möchten. Nämlich wirklich möchten. Warum? Weil sie es nie gelernt haben. Sie führen häufig ein Leben nach den Vorstellungen der anderen.“

Mehr als einmal geschieht es, dass man nach Sätzen wie diesen das edel gemachte Druckwerk zur Seite legt und sich selbst hinterfragt: Wo stehe ich da in dieser Einschätzung? Bin ich darüber schon hinaus oder stecke ich noch mittendrin in diesem Selbstbetrug? Auch in einigen anderen Aspekten trifft Fässlacher voll ins Schwarze, beispielwiese beim klassischen Dating-Verhalten schwuler Männer: Während viele von einem Happy End und der bedingungslosen Liebe träumen, findet sich auf ihren Portalen bei Grindr und Romeo nur eine Liste mit Bedingungen. Am Ende steigern wir dabei wohl oftmals nur unsere Unfähigkeit, Liebe anzunehmen. Fässlacher sorgt mit zahlreichen Zitaten und Skizzen immer wieder auch dafür, die Lektüre aufzulockern und so auch tiefgehende Fragen leicht wirken zu lassen – er beweist dabei auch ein besonderes Gespür für die richtigen Zitate zur richtigen Zeit, beispielsweise mit Blick auf unser Dating-Verhalten: „Reiß mich auf, mach mich zu, werde ich, ich werd du. Leg dich hin, setz mich drauf, lass den Dingen ihren Lauf. Aber berühr mich nicht (Grossstadtgeflüster).“ Genau dieser Punkt, das Simulieren von Nähe sowie Sex als Methode zur Kontaktaufnahme, sind Aspekte, in denen der junge Autor abermals tief in die schwule Seele eintaucht.

So bleibt am Ende eine erstaunliche Erkenntnis:  Fässlacher ist es tatsächlich gelungen, die schwule Seele zu finden und mit uns tief in diese einzutauchen, weit jenseits von langweiligen Selbstfindungsratgebern. Es geht wohl weniger um das selbst finden, als das selbst entdecken. Für junge schwule Männer ist das Buch definitiv ein Zugewinn, für ältere Hasen eine spannende Vertiefung und Reflektion, die mögliche Richtungswechsel ebenso inspirieren wie zu der Erkenntnis beitragen kann, welchen erstaunlichen und respektablen Weg man selbst bereits zurückgelegt hat. So hat das Buch am Ende nur ein Manko: Es endet zu früh. Das liegt nicht am Unwillen des Autors, sondern schlicht an seinem Alter in den eigenen 30iger Jahren. Es wäre äußerst spannend zu erfahren, wie Fässlacher in zehn oder fünfzehn Jahren auf seinen weiteren Lebensweg zurückblickt – wir können nur hoffen, dass er sich dieser Aufgabe stellen wird und uns Leser dann abermals daran teilhaben lässt. (ms) 

Peter Fässlacher: Die schwule Seele

Hardcover mit Leinenrücken und Gummiband
204 Seiten, Preis: 22.00 €, auch als E-Book erhältlich
https://www.luftschacht.com/produkt/die-schwule-seele/

Redaktionhttps://him-magazine.de
Wir verstehen uns als ein ehrliches, sexpositives Magazin, das nicht fremdbestimmt Themen vorgibt, sondern mit der Community zusammen Themen anspricht.

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