BAVARIAN MISTER LEATHER

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Bitte stelle uns zu Beginn deinen Mister-Titel vor – warum ist dieser wichtig für die Community? Welche besondere Botschaft und Aufgabe soll ein Mister mit deinem Titel in die Welt hinausschicken? Und was fasziniert Dich an deinem Fetisch? Wie bist Du selbst dazu gekommen?

Ich bin Eddy, Bavarian Mister Leather 2022-2023, der 19. Titelträger seit 2001. Die Wahl wird vom Münchner Löwen Club (MLC) in München während des Fetisch-Treffens zum Starkbierfest organisiert (das nächste Mal Mitte März 2024). Die erste Aufgabe des Bavarian Mister Leather ist es, die Bayerische Leder- und Fetischszene zu vertreten. Darum gibt es in Bayern keine Jury. Nur das anwesende Publikum stimmt ab. Deswegen lautet meine Botschaft auch: Die Fetischszene Bayerns ist da und verdient Sichtbarkeit! Besonders für diejenigen, die sich fetischmäßig noch nicht geoutet haben. Für sie ist Vertretung wichtig. Ich habe mehrere Fetische, insbesondere Leder und Gummi. Auf persönlicher Ebene wirkt auf mich Fetisch wie der Entwickler in der Fotografie: er zeigt mich, wie ich bin, wie ich mich fühle und auch was ich suche. Er macht mich kommunikativer, selbstsicherer und verstärkt die Interaktionen mit den anderen Personen. Auf sozialer Ebene erweckt er das Gefühl, einer Community anzugehören. Ich bin vor rund zwanzig Jahren nach und nach zum Fetisch gekommen, als mein Mann neues ausprobieren wollte. Lederhose, dann Harness, dann Hemd… ich habe ein Gefühl erkannt, das ich schon immer mit Stiefeln erlebt hatte, ohne genau zu wissen, was es war. Es war in mir, und hat sich dann nach und nach entfaltet. Mit weiteren Stücken, und dann Gummi, Neopren und so weiter.

Noch immer steht gerade auch der Fetisch in der Kritik, sowohl innerhalb wie aber auch außerhalb der Community. Immer wieder wurden auch in den letzten Jahren Stimmen laut, gewisse Fetische würden nicht in das Bild der Community passen oder würden der Community gerade bei politischen Forderungen eher schaden als nützen. Wie blickst Du auf diese Kritik?

Zum Glück sind diese Stimmen in Bayern nicht so laut. Ich durfte keinen CSD in München, Nürnberg oder woanders erleben, wo Fetisch ein Problem war. Ich möchte daran erinnern, dass Lederleute beim Stonewall-Aufstand im Juni 1969 mit dabei waren. Das heißt, Fetisch hat dazu beigetragen, dass CSDs überhaupt existieren. Und was war der Stonewall-Aufstand, wenn keine politische Forderung? Fetisch kann zwar eine sexuelle Dimension haben, besteht aber nicht nur daraus. Wir legen immer mehr Wert darauf, Nacktheit und sexuelle Handlungen bei CSDs zu vermeiden. Aber trotzdem wird Fetisch immer noch mit einer sexuellen Brille gelesen. Das Unpassende liegt aber dann im Auge des Betrachters. Gegen solche Missverständnisse hilft Aufklärung. Übrigens: Titelträger sind auch dafür da – wir werden gerne gefragt!

Es gibt inzwischen immer mehr Mister-Wettbewerbe und viele Mister-Vertreter für die jeweiligen Fetische oder Regionen. Mancherorts entsteht der Eindruck, es gibt zu viele Mister oder Titel werden beliebig vergeben, ohne tieferen Sinn dahinter. Wie siehst Du das? Brauchst es so viele unterschiedliche Mister-Träger? Und falls ja, warum?

Dass es zu viele Titelträger gibt, muss man relativieren. In den Vereinigten Staaten ist die Mister-Kultur so, dass jede Kneipe einen eigenen Titelträger haben kann, der Werbung für die Kneipe macht. In einer einzigen Stadt kann es dann mehrere Titelträger geben. Soweit sind wir in Europa lange nicht. Das Phänomen der vielen Titel ist relativ jung, sodass es noch zu früh ist, eine Bilanz zu ziehen. Generell geht es mit einem Titel um Repräsentativität. Da, wo ein Teil der Community sich nicht vertreten fühlt, soll man sich überlegen, einen neuen Titel einzuführen. So werden viele Mister-Leather-Titel auf Mister-Fetisch-Titel umgewandelt. Wiederum, da wo starke Teil-Communitys vorhanden sind, kann ein Mister-Fetisch-Titel zu allgemein sein. Dann würde es sich lohnen, spezifischere Titel wie Mister-Rubber oder Mister-Sportswear einzuführen. Die Anpassung der Titel hängt aber nicht nur vom Fetisch, sondern auch von der Geschlechtsidentität ab. So erscheinen die Ms.-Titel für Frauen oder die Mx-Titel für nicht-binäre Menschen. Die Puppy-Community hat sich für die genderneutralen Titel Puppy und Handler entschieden. Im Endeffekt ist es Sache der lokalen Community, die durch ihren lokalen Fetischverein vertreten ist. Ich denke, es gibt, keine „one size fits all“-Lösung.

Der Träger eines Mister-Titels soll seine Community, seine Szene, nach außen vertreten, beispielsweise bei Events in der Community. Besteht für Dich auch die Chance, dass Titelträger als eine Art von Brückenbauer auch die gesamte Gesellschaft insgesamt erreichen und vielleicht so auch mehr Verständnis außerhalb der Community erreichen können?

Oft wird ein Verein auf einem CSD nicht nur am Umzug teilnehmen, sondern auch am Straßenfest, wenn es eines gibt. In der Regel hat dann der Verein, wie der MLC auf dem Münchner CSD, einen Stand im öffentlichen Raum. Der Titelträger und die Standhelfer haben dann die Möglichkeit, mit den Passanten zu interagieren. So kann man tatsächlich die gesamte Gesellschaft erreichen. Zum Beispiel hatte ich so die Gelegenheit, einem Familienvater zu erklären, was Pet-Play ist. Eine zweite, historische Aufgabe des Titelträgers ist die Unterstützung der Organisationen für gesundheitliche Prävention, wie zum Beispiel der AIDS-Hilfe oder IWWIT. Dies besteht beispielsweise aus Standdiensten in Fußgängerzonen oder auf einem Christkindlmarkt, wo man auch die ganze Gesellschaft erreicht. Nach Auftritten in Clubs oder Bierzelten kommt man ebenso oft ins Gespräch mit einem breiten und bunten Publikum.

Die Fallzahlen bei der Hasskriminalität gegenüber der Gay-Community steigen in vielen Ländern weltweit wieder an, die Akzeptanz von Homosexuellen in der Gesellschaft sinkt erstmals wieder (Ipsos Studie 2023), dabei wird auch die Kritik immer lauter, die Community zeige sich „übersexualisiert“ und befeuere damit sozusagen Hass und Gewalt gegenüber Homosexuellen. Geht eine „Gefahr“ von unserer Sexualität, unseren unterschiedlichen Fetischen aus? Wie siehst Du das?

Anderen Studien zufolge hat sich die ganze Gesellschaft in Deutschland übersexualisiert. Daher scheint dieses Thema sich nicht auf unsere Fetisch-Community zu beschränken. Ich sehe aber keine verstärkte Sexualisierung unserer Community, sondern eine bessere Sichtbarkeit. Da unsere Community sich durch sexuelle Identität und sexuelle Orientierung kennzeichnet, muss dann irgendwann auch mal von Sexualität die Rede sein. Mit erhöhter Sichtbarkeit wird diese Rede auch hörbarer. Und dann stößt man öfter auf die üblichen Tabus. Und dann kracht’s. Eine Gefahr wäre allerdings, nichts zu tun. Tabus fördern Schweigen, das wiederum Unwissen schürt. Unwissenheit macht Angst und aus Angst kommt Hass. Das heißt, Tabus müssen überwunden werden. Und zwar mit Aufklärung. Oft muss ich Arbeitskollegen erklären, was eine Drag-Queen oder ein Drag-King sind, was ein/e Transsexuelle/r oder was Selbstbestimmung ist. Und oft muss ich feststellen, wie wenig die Leute wissen. Es ist Aufgabe jedes Einzelnen, mit Freunden, Kollegen und Familien auf seiner Ebene zu reden und ein bisschen Wissen zu verbreiten. Schritt für Schritt kommt man schneller voran.

Lass uns bitte einmal kritisch auf die Fetisch-Community blicken: Wo siehst Du intern Probleme? Welche Aspekte müssten dringend verbessert werden? Wo läuft etwas falsch und wie lässt sich das ändern?

Wie gesagt, übt sich der Fetisch auf die Persönlichkeit einer Person aus. Oft passiert dabei, dass die Person vergisst, wer sie ist. Der Gewinn an Selbstvertrauen führt manche zur Dominanz oder zur Arroganz. Dominanz gehört ja zum Spielen dazu und lässt sich gut mit Fetisch, insbesondere schwarzem Leder oder Uniform, kombinieren. Aber man darf eben diese Spielregeln nicht vergessen. Nicht jeder, der dasteht, hat sich spielbereit erklärt. Nicht jeder darf dominiert werden. Was ein Spiel sein soll, wird sonst schnell zur Arroganz. Dies schadet dem Ruf der ganzen Community. Zudem schreckt ein solches Verhalten Neulinge ab, deren Selbstvertrauen noch nicht so stark ist. Wer mit einer Frage kommt und arrogant behandelt oder ausgelacht wird, weil die Frage blöd sei, der geht mit seiner Frage und ohne Antwort zurück. Aufklärungsmangel. Und möglicher Nachwuchsverlust. Außerhalb von Spielen darf sich keiner den anderen überlegen fühlen. Titelträger müssen in dieser Hinsicht vorbildlich sein und für eine sympathische Erscheinung der Fetisch-Community eintreten.

Seit rund zwei Jahren gibt es auch vermehrt Streit in der Community, teilweise kommt es zu Spaltungsprozessen zwischen LGB und TQ+, gerade weil Schwule und Fetisch-Freunde großen Wert auf das biologische Geschlecht als Grundlage für ihre Sexualität und ihren Fetisch legen, TQ+ aber im Grunde die „Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit“ anstrebt. Wie erlebst Du diesen Streit und was sagst Du dazu?

Dass Fetisch-Freunde großen Wert auf das biologische Geschlecht legen, kann ich nicht bestätigen. Immer mehr öffnet sich die Mister-Community den Trans-Männern. Neue Mx- statt Mr- oder Ms-Titel erscheinen, damit auch nicht-binäre Menschen passende Titel gewinnen können. Immer öfter stellt sich die Frage, ob Trans-Männer Fetischlokale mit Darkroom betreten dürfen. In Sache Sexualität hat man gewisse Erwartungen an einen Spielpartner, wo viele Kriterien ins Spiel kommen. Cis/Trans kann zu einem solchen Kriterium werden. Daher muss man verstehen, dass jemand, der einen Cis-Mann sucht, einem Trans-Mann eine Absage ohne Trans-Feindlichkeit erteilt, nur weil es halt nicht passt. Auf jeden Fall muss die Absage höflich und respektvoll sein. Das Thema ist noch jung und viele Fragen sind noch offen. Aber die Problematik ist bekannt. Es darf noch etwas Zeit dauern, bis sich alles regelt.

Für Menschen, die das vielleicht noch nicht kennen: Was ist für Dich das Besondere an Deinem Fetisch und der Community? Viele Fetisch-Freunde berichten von einer besonderen Freiheit im Kopf. Was würdest Du sagen?

Mit Leder kann ich mein inneres Ich zeigen: streng, sportlich, kindisch oder provokativ, je nach Kombination der Elemente. Gummi hat eine hohe Suggestionskraft: faszinierend ist dabei, wie sehr ich den Körper näherbringe, indem ich ihn bedecke. Ich erlaube mir auch Kombinationen von Leder und Gummi. Wer sich traut in Fetisch-Gear in der Öffentlichkeit rumzulaufen, der hat schon eine bedeutende Hürde hinter sich. Der kann schon den Blick der Anderen vertragen, und die Kritik, nicht konform zu sein. Dann fühlt man sich schon freier. Ich kann nur jeden dazu ermutigen. In der Community wird man in der Regel wenig kritisiert. Selbst wenn man persönlich nicht auf einen gewissen Fetisch oder auf gewisse Vorlieben steht, versteht man trotzdem, dass andere es tun. Keiner sagt „Aber warum trägst du sowas?“ oder „Wie kann man sowas tun?“. Zudem teilt man gemeinsame Interessen. Das Eis zu brechen, ist dann sehr einfach, indem man über seine Fetische redet. Noch wichtiger ist, dass Fetisch ein menschbezogener Wert ist, das heißt, dass es wenig von Sprachen und örtlichen Kulturen abhängt. Somit hat man gleich viel Gemeinsames mit Leuten im oder aus dem Ausland, sodass man schnell Brücken schlagen kann.

Die Fetisch-Welt entwickelt sich immer weiter, jedes Jahr kommen neue Fetische hinzu. Wo siehst Du die gesamte Fetisch-Community in den nächsten zehn Jahren? Welche Entwicklungen würdest Du dir wünschen?

Wir hatten in den 1960-70er Jahren Leder. Dann kamen Latex und Neopren, dann PVC. Ich kann mir in zehn Jahren andere Stoffe vorstellen, und wünsche mir viele Kombinationsmöglichkeiten. Wir sorgen ja für Sichtbarkeit und Aufklärung, so dass ich denke, die Öffentlichkeit wird sich an Fetischklamotten gewöhnen. In Fetisch auf der Straße und auf CSDs herumzulaufen, wird zur Normalität. Pet-Play und Furry-Play sind in den letzten Jahren sichtbarer geworden, wobei die Akzeptanz noch nicht überall gegeben ist. Ich denke, die Übergangsphase ist bald vorbei, sodass die Pet- und Furry-Player von der Community und von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Auch in der Kreativität ist Fetisch grenzenlos!

Mancherorts gibt es Nachwuchsprobleme beim Fetisch, viele junge Schwule haben entweder Berührungsängste oder können vielleicht mit dem Fetisch nicht mehr viel anfangen. Hat sich der Fetisch in gewisser Weise überlebt und ist nur noch eine Sache für „ältere Männer“ geworden oder trübt der Eindruck? Und wie könnte man die Jugend vielleicht für den Fetisch wieder begeistern?

Fetisch ist definitiv nicht nur eine Sache für „ältere Männer“. Ich bin 47 und kenne persönlich neun Titelträger in Deutschland, unter denen acht jünger als ich sind. Fetisch ist aber nicht immer die erste Priorität für jüngere Leute. Davor muss man oft mit anderen Sachen zurechtkommen und sich wohl fühlen wie zum Beispiel mit der eigenen sexuellen Identität und sexuellen Orientierung. Die nächste Hürde ist dann das Bewusstsein. Oft ist der Reiz für Fetisch früh da, ohne erkannt zu werden. Oft im Gespräch mit jüngeren Leuten höre ich Sätze wie „Dann habe ich vielleicht doch einen Fetisch“, weil man einfach nicht weiß, was ein Fetisch ist. Falsche Vorstellungen wie zum Beispiel, dass Fetisch immer etwas mit SM zu tun hat oder immer mit Sex verbunden ist, schrecken Leute ab, bis sie aufgeklärt werden. Dann kommt das Finanzielle dazu, da Fetischsachen nicht gerade günstig sind. Man kauft nach und nach das, was man kann, mit dem Geld, das man hat. Es sind oft zum Beispiel Lederschuhe, Sneakers, ein Harness oder eine Puppy-Maske. Erst später kommen Gummi- oder Lederklamotten. Das Ganze erweckt dann den falschen Eindruck, dass jüngere Leute sich nicht für Fetisch interessieren würden.

Eddy, vielen Dank Dir für das Gespräch! (ms)

Facebook @Bavarian Mister Leather und @Edd Ftsh
Instagram @bavarianmisterleather und @eddftsh
E-Mail: bmrl2022@mlc-munich.de

Redaktionhttps://him-magazine.de
Wir verstehen uns als ein ehrliches, sexpositives Magazin, das nicht fremdbestimmt Themen vorgibt, sondern mit der Community zusammen Themen anspricht.

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