NICHT-BINÄRE SKELETTE

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KolumneNICHT-BINÄRE SKELETTE

Oder: Red` nich minus, Bruda!

Ich kann nicht mehr! Das liegt sicherlich teilweise am dampfenden Stadt-Sommer, der mir schon wieder viel zu heiß ist – ja, ich weiß, viele Jungs warten nur darauf, sich die Klamotten vom Leib zu reißen und für die allgemeinen Menschenrechte beim Pride zu demonstrieren, indem ihnen ein fremder Kerl tanzend hoch auf dem Wagen sein Pride-Rohr tief hineinschiebt. Jeder protestiert eben auf seine Weise. Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Nein, bei mir liegt die allgemeine Erschöpfung ein wenig an der politischen Großwetterlage und die sieht selbst bei strahlendem Sonnenschein immer noch nach Jahrhundertsturm aus. Anders gesagt, immer öfter ertappe ich mich morgens dabei, wie ich beim ersten Schritt vor die Haustüre gen Himmel blicke und hoffe, dass mir ein großer Scheinwerfer vor die Füße knallt (Tipp für die Ahnungslosen: Schaut endlich „Die Truman Show“, ihr Filmbanausen!). Es würde doch so viel erklären, oder nicht? Eigentlich so ziemlich alles. Ich könnte tief durchatmen, irgendwann gemütlich an der Nordsee einfach in See stechen und darauf warten, dass sich der Bug meines Schiffchens in die Pappmache-Horizont-Kulisse bohrt (ehrlich jetzt, schaut den Film! Jim Carrey ist einfach fantastisch darin!). Aber nein, ich setze mich in einen Bus. In Berlin! Hier stößt man gerne auf Einheimische, also Checker-Jungs mit elterlichem Migrationshintergrund, die tatsächlich so reden, als wären sie in einer Comedyshow: „Red´ nich minus, Bruda!“ – „Doch, ich schwör auf Gott, ich muss nach Hause sein, Bruda. Meine Mutta fickt meinen Kopf, Bruda!“. Übersetzt war damit gemeint, dass der eine keinen Blödsinn reden soll, während dieser erklärt, er müsse jetzt nach Hause, sonst bekomme er Stress mit seiner Mutter. Ich steige aus dem Bus aus und blicke wieder gen Himmel. Nichts passiert. Verdammt!

Gut, stellen wir uns dem Irrsinn, was bleibt uns übrig, und gehen von der Anthropologie rüber zur Archäologie: In Göttingen sind ein paar hippe forschende Forscher*:*innenen zur der Erkenntnis gelangt, dass es schon in der Bronzezeit nicht-binäre Menschen gab. In einer groß angelegten und gut bezahlten Studie analysierten die jungen Fachgeleuteten der Universität in Niedersachsen Daten von über 1.200 Skeletten und sind sich seitdem sicher, dass es bereits vor Tausenden Jahren eine „tolerierte Minderheit mit einer nicht-binären Geschlechtsidentität“ gab. Nun mag der dumme Laie natürlich ermüdet und mit Angst ob der folgenden Antwort nachfragen, wie man denn anhand von Knochenresten feststellen will, dass die Menschen vor mehreren tausend Jahren sich nicht auf männlich oder weiblich einigen konnten. Ebenso spannend wäre auch die Frage, wie man wissenschaftlich fundiert eruiert hat, dass diese Minderheit auch noch „toleriert“ worden wäre.

Bereit für die Antwort? Sicher? Lieber noch einmal vorher ein Gläschen Sekt? Oder ein Liter Wodka, damit es knallt? Nein? Okay. Ich habe euch gewarnt! Die Antwort (hört ihr beim Lesen jetzt auch im Hintergrund ein leises, Spannung erzeugendes Trommeln?): Es liegt an den Grabbeigaben, also Schmuck und Waffen. Die Schlussfolgerung der forschenden Forscher*:*innenen: Wurde Schmuck bei männlichen Knochenresten und Waffen bei weiblichen Knochenresten gefunden, muss es sich um nicht-binäre Menschen gehandelt haben. Das betrifft mindestens zehn Prozent aller Überreste. Kurzum: In der Bronzezeit waren mindestens zehn Prozent nicht-binäre Menschen. Ist doch klar, oder? Übrigens, das wären je nach Studie mindestens fünf- bis zehnmal so viele wie heutzutage. Aber damals, da waren die Menschen einfach noch viel toleranter, die hatten ja auch noch kein Social-Media.

Vielleicht sei dabei erwähnt: Die Männer und Frauen in der Bronzezeit sind jene, die geschichtlich betrachtet für ihre hohe Handwerkskunst gerühmt werden, sie verarbeiteten erstmals gekonnt Metallgegenstände zu Waffen, Gerätschaften und Schmuck, sodass es ja denkbar wäre, dass man geliebten verstorbenen Menschen ins Grab etwas dazulegte, das den Hinterbliebenen wichtig war. Oder, verrückte Idee, es gab auch Männer, die gerne Schmuck trugen? Die waren, der Logik folgend, damit natürlich alle schwul. Oder es gab – jetzt wird es echt irre – Frauen, die auch zur Waffe griffen und kämpften. Oder, oder, oder – es gibt tausend Gründe, warum bei manchen Jungs Schmuck und bei einigen Mädels Waffen gefunden worden sind. Genauso gut könnte man bei der dünnen Datenlage auch nahelegen, dass jene zehn Prozent der People-of-Bronze homosexuell waren.

Ach, und zum Thema Toleranz: Für die forschenden Forscher*:*innenen ist klar, dass die Non-Binarys allesamt super in der Bronze-Community angenommen wurden, weil ihre Leichen ähnlich wie alle anderen verbuddelt worden sind. Vielleicht haben sie die ganzen nicht-binären Zauberwesen aber einfach nur sehr schnell und sehr gerne mit einem gezielten Axtschlag unter die Erde gebracht? Natürlich mit viel Toleranz im Herzen, versteht sich. Nichts da, eine der Studienleiter:innenen erklärte: „Die Zahlen sagen uns, dass wir nicht-binäre Personen historisch gesehen nicht als Ausnahmen von einer Regel betrachten können.“

Am Ende der tollen medialen Schlagzeile um nicht-binäre Bronze-Peoples finden sich dann aber doch noch zwei kleine Hinweise: Zum einen gäbe es doch noch große Zweifel an den Ergebnissen, wie auch die Geforschten selbst einräumen, denn viele der Skelettreste konnten wegen ihres Alters und Zustandes gar nicht erst eindeutig biologisch eingeordnet werden. Noch einmal zum Mitschreiben: Man weiß gar nicht, ob das Knochenhäuflein mit Speerspitze als Grabbeigabe männlich oder weiblich war. Zum anderen wird festgehalten, dass es zu dieser Zeit in Europa noch gar keine starke Abgrenzung inklusive Wertevorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit gab. Also nix da mit Waffe gleich Mann, Schmuck gleich Frau. Kurzum, die gesamte Meldung ist nicht viel mehr als ein nettes Gummibärchen für die queere Bubble. Aber eines zeigt es am Ende doch: In puncto Wertvorstellungen von Mann und Frau waren die Bronze-Menschen den heutigen queeren, forschenden Aktivistenen:innen weit voraus. Dabei kommt uns diese altbackene Denkweise (Schmuckbeigabe = weiblich) gerade heutzutage schmerzlich vertraut vor, wenn beispielsweise jungen Mädchen mit einer Vorliebe für Jeans und Fußball erklärt wird, sie sollten einmal darüber nachdenken, ob sie nicht doch ein Trans-Junge sind. Gut, dass die Bronze-Peoples diesen Irrsinn nicht mehr miterleben müssen. Oder wie sagten die Jungs im Bus noch einmal? Red´ nich minus, Bruda! (mm)

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