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Der Regenbogen am Scheideweg

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Schwule Männer in Sorge über die derzeitige Situation “Kommentar”

Es ist laut, es ist grell und es ist bunt. Endlich wieder tanzen und Spaß haben. Um uns herum feiern alle, als gäbe es keinen Morgen und für diese Stunden sind Sorgen und Kummer vergessen. Wir, dass bin ich und ein weiterer Just Gay Mann, feiern in einer Hamburger Schwulenbar auf der Reeperbahn und die Welt außerhalb der Tür ist vergessen. Doch bald wird uns die Realität wieder einholen und damit auch das Wissen darüber, dass schwule Männer sich derzeit sorgen über die Situation und zudem ebenso vor dem, was noch kommen mag.

Selbstbestimmungsgesetz, sexuelle Identität als weiteres Merkmal in das Grundgesetz, Konversionstherapiegesetz und noch andere Gesetzesvorhaben und Änderungen bewegen derzeit die Gemüter. Eine Fülle an Vorhaben arbeitet die Ampelkoalition ab und selbst diejenigen, die dachten, dass sie das alles nicht betrifft, fangen inzwischen an, sich Sorgen zu machen und zu fragen, wie es weitergeht.  Mich erreichen die ersten Emails und Telefonate von schwulen Männern aus ganz Deutschland. Sie äußern ihren Unmut über die immer noch vorhandene, toxische Stimmung, über einen möglichen Rollback aufgrund einer überforderten Gesellschaft und Gesetzesvorhaben, die weitreichende Folgen haben können. Nicht wenige stellen sich die Frage, ob sie überhaupt noch zu einer Community dazugehören, wenn sie anderer Meinung sind oder einfach nur ganz klar sagen, dass sie sich von der queeren Gemeinschaft abwenden und nichts mehr damit zu tun haben wollen. Der „Queere Aktionsplan“ ist für nicht wenige eine Provokation und viele tragen die Inhalte nicht mit. Ein weiterer Vorwurf wird laut. Viele Gruppen wurden ausgeschlossen von der Teilhabe zur Umsetzung des Plans. Auch wir von Just Gay hatten keine Chance, einem befreundeten Verein für Transsexuelle erging es ebenso. Was uns verbindet? Wir mit Sex* haben dort offensichtlich nichts mehr verloren und alle mit Gender** werden erhört und aktiv mit einbezogen. Kritische Stimmen sind nicht gewollt. Es ist eines der ersten Konsequenzen, die uns direkt betreffen aufgrund der Politik der Ampelkoalition. 

Der Streit zur Reformation des Transsexuellengesetzes  und einhergehend die Auseinandersetzung zur Definition des Geschlechts erreichen nun die Gesellschaft. Über die Konsequenzen wird bitter gestritten und über die Deutungshoheit gerungen. Selbst wer nicht in die Thematik involviert ist, merkt, dass etwas nicht mehr stimmt. Bewusst wird Twitter außen vorgelassen, auch wenn diese App maßgeblich die Ursache ist für die Auseinandersetzung. Der Streit hat aber inzwischen längst die App verlassen und die Auseinandersetzung ist in der realen Welt angekommen. Die Presse berichtet weiter über geplante Drag-Shows für Kinder und Jugendliche und streitet darüber, ob das angebracht ist oder nicht. „Lasst unsere Kinder in Ruhe“ ist in den Kommentarspalten zu lesen und schwule Männer sind in Sorge und fragen sich, ob die derzeitige „Toleranz“ nicht eher dazu führen könnte, dass die Abneigung wieder zunimmt und auch schwule Männer den Preis bezahlen müssen. Es geht nicht „nur“ darum, was einzelne Gesetze für Auswirkungen mit sich bringen. Es geht auch darum, was der Streit darüber innerhalb der Gemeinschaft anrichtet und weiterhin, wie eine Gesellschaft künftig mit uns allen umgehen wird, wenn sie möglicherweise genug hat und nicht mehr differenzieren will. Schwule Männer haben Sorge und ein beschleichendes Gefühl der Angst macht sich breit.

Wir von Just Gay sagen bewusst, dass wir Teil des Regenbogens sind, auch wenn wir ausschließlich die Belange von schwulen Männern vertreten, deren Grundlage das biologische Geschlecht ist. So nehmen wir am lesbisch-schwulen Straßenfest in Berlin teil und sind im stetigen Austausch mit anderen Organisationen. Auch blieb uns bisher eine Welle des Hasses erspart. Wir erfahren viel Zuspruch. Bekamen Artikel in der Presse, Politikerinnen und Politiker empfingen uns und viele Gespräche auch mit queeren Organisationen fanden und finden statt. Dennoch spüren schwule Männer auch hier die ersten Konsequenzen und sorgen sich über das Hier und Jetzt. Schwule Männer werden ausgeschlossen, weil sie queere Politik kritisieren; immer öfter sagen immer mehr schwule Männer schlussendlich von sich aus, dass sie nichts mehr mit dem Regenbogen zu tun haben wollen und halten sich von queeren Veranstaltungen gänzlich fern. Der Regenbogen befindet sich auf dem Scheideweg. Muss das sein? Wir von Just Gay finden, dass der Spagat möglich ist und hoffen, dass wir weiterhin klar unsere Standpunkte vertreten können, ohne Gefahr zu laufen,  ausgeschlossen oder des Hasses bezichtigt zu werden. Die Situation zeigt zudem auf, wie wichtig es ist, dass unsere Schutzräume und die schwule Infrastruktur erhalten bleiben.

Im Zuge dessen passiert in der realen Welt sehr viel. Neue Organisationen und Vereine gründen sich, um auf die Politik der Ampel zu reagieren. Als ich Just Gay ins Leben rief, machte ich mir nur wenig Gedanken über die Reaktionen. „Eine Gruppe Männer gründet eine Organisation für schwule Männer. Keine große Sache“, dachte ich mir und ging davon aus, dass Just Gay erstmal wenig Beachtung finden würde. Doch es kam anders, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Die Bekanntgabe entwickelte sich zum Politikum und nicht wenige lehnen unser Vorhaben inzwischen klar ab. 

Die Vorhaben der Ampelkoalition betrachten wir mit großer Sorge: Wird es für uns schwule Männer von Just Gay weiterhin möglich sein, exklusiv zu sein? Kommt es zu Konversionstherapien über die Hintertür? Landen wir auf diversen Listen von Meldestellen, weil wir den Grundsatz „Sex not Gender“ und „Gay not Queer“ verfolgen? Werden wir im Zuge dessen von offizieller Seite als „Hassgruppe“ gebrandmarkt? Werden wir von offiziellen Stellen weiter ausgegrenzt? Werden uns mögliche Fördergelder in der Zukunft verwehrt? Sind wir gezwungen, die Selbstidentifikation des Individuums als unsere Realität anerkennen zu müssen? Schwule Männer fürchten sich auch vor der Unsichtbarmachung innerhalb der Gemeinschaft und sind wütend über die auferlegte neue Definition von Mann und sexueller Orientierung und einhergehend über die Umdefinierung von Homosexualität selbst.

Eigentlich müsste die Gemeinschaft zusammenstehen für die Herausforderungen, die da kommen. Leider ist es aber derzeit so, dass der Regenbogen wie gesagt am Scheideweg ist und vieles bereits kaputt geht, was mühsam oft über Jahrzehnte von Schwulen und Lesben erarbeitet und erkämpft wurde. Es geht nicht um Schuld, denn das wäre zu einfach. Doch immer mehr Homosexuelle und nun auch Transsexuelle sowie nicht queere Transgender haben genug. Die Kommunikation der Ampelkoalition ist eine Katastrophe und die Politik ein komplettes Versagen, weil sie Klientelpolitik betreibt und dadurch spaltet. Doch was können wir tun? Das Angebot von Just Gay ist, schwulen Männern einen Safe Space anzubieten und ihnen eine Stimme gegenüber der Politik zu geben. Hoffen wir auf das Beste und auf die Vernunft. Wichtig ist, nicht den Radikalen eine Stimme zu geben, sondern all denjenigen, die an einer gemeinsamen Zukunft im gegenseitigen Respekt interessiert sind. Schwule Männer haben viele Krisen überstanden und werden auch diese bestehen. Eines wird aber deutlich, die Rechte von schwulen Männern sind jederzeit Makulatur und können beendet werden. 

Zurück auf die Reeperbahn: Von laut, grell und bunt hat es uns nun in eine Leder- und Fetischbar verschlagen und der Kontrast könnte nicht größer sein. Wieder ist er da, ein Moment des Glücks und dazu das Wissen, dass es solche Räume gibt, die für uns sind und uns auch schützen. Wir sind der Meinung, dass darf nicht verloren gehen und wir müssen für den Erhalt kämpfen. Am Ende komme ich doch noch einmal auf Twitter zu sprechen. Ich sehe gerade, dass die ersten Tweets veröffentlicht werden, die schwule Männer in Verbindung mit „Sexualisierung“ von Kindern bringen. Es wird bitter und alle Sorgen sind berechtigt. Nun ist sie da, die Realität, und ich sehne mich zurück in die grelle, laute, bunte Gaybar, die alle Sorgen für einen Moment vergessen machen.

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Florian Greller
Florian Grellerhttp://www.kiezrunners.com/Just-Gay/Just-Gay
Florian Greller ist Initiator und Leiter von Just Gay – eine Organisation von schwulen Männern für schwule Männer, deren Grundlage das biologische Geschlecht ist. Außerhalb von Just Gay hat er eine Ausbildung zur männlichen Hebamme begonnen und erfüllt sich dadurch einen lang ersehnten Wunsch.
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